Grußwort von Dr. Peter Janocha,
dem Vorsitzenden der Deutsch-Japanischen
Gesellschaft Schleswig-Holstein e.V.

Grußwort anläßlich des Besuchs von Suzuko Numata in Schleswig-Holstein

Am 8. Mai vor 55 Jahren endete der Zweite Weltkrieg in Europa und Deutschland. In Japan dauerte es noch drei Monate, bis der verzweifelte Abwehrkampf der Japaner durch die Atomblitze über Hiroshima und Nagasaki am 6. und 8. August 1945 auf schreckliche Weise beendet wurde. Kein Mensch auf der Welt wußte seinerzeit mit hinreichender Sicherheit, welche furchtbare Waffe dort an Menschen erprobt wurde.
Die ahnungslosen, hilflosen und unschuldigen Bewohner der beiden Städte verstanden nicht, wie ihre Leben und ihre Zukunft innerhalb weniger Sekunden vernichtet wurden, wenn sie die Hitze- und Strahlenwellen überlebten. Nur der Forschungsleiter in den USA, Robert Oppenheimer, ahnte die Langzeitwirkungen der Bomben, wenn er sagte: Wir wußten, daß die Welt danach nicht mehr die gleiche sein würde.

Es dauerte lange, bis sich die lähmende Sprachlosigkeit in Japan löste: Die physisch und psychisch geschundenen Opfer ergaben sich eher schweigend in ihr Schicksal, und die Politiker schwiegen, weil sie nicht wußten, wie sie mit dem Thema und den Opfern umgehen sollten.

Suzuko Numata ist eine der wenigen, die sich nach einem fast ihr Leben zerstörenden Selbstfindungsprozeß zum Reden durchrang. Als eine der immer weniger werdenden Zeitzeugin - sie war im August 1945 gerade 21 Jahre alt - wuchs in ihr die Erkenntnis, daß man über die schrecklichen Erlebnisse sprechen muß, wenn eine Wiederholung von Hiroshima und Nagasaki  verhindert werden soll. Sie fühlte sich berufen und verpflichtet, gerade den jungen Menschen in der Welt, die die Schrecken eines Krieges und die Grausamkeit der Bomben allenfalls aus Berichten unbeteiligter und daher emotional wenig geprägter Kommentatoren kennen, die Leiden der Bewohner von Hiroshima deutlich und bewußt zu machen. Ihr Anliegen ist, der Jugend in der Welt, die unsere Zukunft gestalten soll, den Geist zu schärfen und das Herz zu öffnen, damit es nie wieder ein zweites Hiroshima und Nagasaki gibt.

Wie wichtig dieses ständige Erinnern, das beharrliche Mahnen und Aufklären ist, belegen die heimlichen Aufrüstungsbestrebungen in einigen Ländern und die unverhohlenen Drohungen mit Atombomben im Dauerkonflikt zwischen Indien und Pakistan.

Es ist nicht leicht, Interesse und Verständnis für eine Gefährdung der Menschheit zu wecken, die vor 55 Jahren zum erstenmal schreckliche Wahrheit wurde - und seitdem nicht wieder. Und es ist im Grunde eine lebensbejahende Eigenschaft des menschlichen Wesens, unangenehme Erlebnisse und Ereignisse zu verdrängen und mit fortschreitender Zeit zu vergessen und nur die angenehmen Seiten des Lebens in Erinnerung zu behalten. Umso wichtiger ist es, die Mission von Zeitzeugen zu unterstützen und zu fördern und den Zugang zu der Jugend zu ermöglichen.

Als junger Mensch hatte ich während eines mehrmonatigen Japanaufenthaltes die Gelegenheit, Hiroshima und Nagasaki und die Gedächtnisstätten zu besuchen. Wenn ich jetzt Berichte oder Bilder über die beiden Städte lese oder sehe, dann fällt mir natürlich der Besuch auf der nahe Hiroshima liegenden Insel Miyajima mit dem roten Torii vor dem Itsukushima-Schrein ein, und bei Nagasaki denke ich an Glover Mansion und Madame Butterfly. Aber gleichzeitig habe ich den Friedensdom in Hiroshima und den Friedensengel mit der ausgestreckten Hand und mit dem zum Himmel weisenden Finger in Nagasaki vor Augen. Leider haben viel zu wenige Menschen die Gelegenheit, Hiroshima und Nagasaki zu besuchen und werden nicht vor die Notwendigkeit gestellt, sich mit den Tatsachen und den auftauchenden zwiespältigen Gefühlen und Gedanken auseinanderzusetzen, daß diese einst so blühenden und pulsierenden Städte in Sekunden ausradiert wurden.

Ich habe Hochachtung vor den beiden jungen Studenten Christopher Schmidt und Wolfgang Raabe, die sich die anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe gestellt haben, jungen Menschen in Schulen und Universitäten in Schleswig-Holstein die Möglichkeit zu geben, sich in Gesprächen mit einer Zeitzeugin und eines Opfers mit den Folgen eines Atomkrieges auseinanderzusetzen. Ich wünsche ihnen den erhofften Erfolg und die Entlohnung ihrer Mühen durch eine Vielzahl aufmerksamer, kritischer und nachfragender Zuhörer, die an der Gestaltung ihrer Zukunft mitwirken möchten.

Ich begrüße Frau Numata in Schleswig-Holstein und hoffe, daß sie mit Gefühl und in dem Bewußtsein in ihre Heimat zurückkehrt, daß sich auch in Schleswig-Holstein junge Menschen ernsthafte Gedanken über eine Zukunft in gegenseitigem Verständnis, in Freiheit und Frieden machen.